Zu den Anfängen der heutigen Stadt Bad Sachsa

Von Gerhard Möller

 

Die Stadt Bad Sachsa beging im Jahr 1988 ein 750jähriges Jubiläum. Sie bezog sich dabei auf eine Urkunde aus dem Jahr 1238, in der Sachsa erstmals erwähnt worden sei. Hingegen nennen, der Polyglott Harz, das Deutsche Städtebuch, Band Mitteldeutschland, von 1941 und das Niedersächsische Städtebuch von 1952 das Jahr 860, Otto Löhnis (Verfasser der Beiträge in den Städtebüchern) im Jahr 1962 das Jahr 810 (der Baedeker Harz, der bis zur vorletzten Ausgabe vom Jahr 870 sprach, hat dies inzwischen korrigiert, indem er nun vom 13. Jahrhundert spricht). Die Gründung durch die Grafen von Honstein wird genauso angenommen wie für die Zeit um 600 behauptet. In der Festschrift zum genannten Jubiläum heißt es: „Die genaue Gründungszeit ist unbekannt.“ Solche Verhältnisse verleiten dazu, die eine oder andere These in die Welt zu setzen, deren Wahrheitsgehalt nicht belegbar ist. Dies ist auch in Bezug auf die Anfänge von Sachsa geschehen.  

 

Hinzu kommt, dass keine Urkunde bekannt ist, die das Datum der Gründung verzeichnet. (Dies gilt natürlich nicht nur für Sachsa – im ehemaligen Kreis Grafschaft Hohenstein kann nur Mackenrode auf eine Urkunde verweisen, die das Jahr der Gründung angibt.) So bleibt nur der Blick in Urkundenbücher und -sammlungen aus der Umgebung von Sachsa. An erster Stelle bieten sich dabei an:

 

Carl Ludwig Grotefend u.a.: Die Urkunden des Stifts Walkenried, Abth. 1, Hannover 1852;

Otto Dobenecker: REGESTA DIPLOMATICA NECNON EPISTOLARIA HISTORIAE THURINGIAE, 4 Bände, Jena 1896, 1900, 1925 und 1939;

 

Josef Dolle (Bearbeiter): Urkundenbuch des Klosters Walkenried, Band 1: Von den Anfängen bis 1300, Hannover 2002.

Wer die drei genannten Werke vergleicht, findet bis zum Jahr 1238 zwei Urkunden, die alle gemeinsam nennen, nämlich eine Urkunde aus 1238 und eine aus 1219. Dolle bringt eine dritte Urkunde aus 1229; diese Urkunde kennen auch die beiden anderen, lassen aber nicht erkennen, dass sie in Beziehung zu Sachsa steht. Dobenecker schließlich nennt eine vierte Urkunde, die er zunächst auf ca. 860 datiert, bei der er aber selbst unsicher ist, ob sie mit Sachsa in Verbindung gebracht werden kann.

 

Im Folgenden soll den einzelnen Urkunden nachgegangen werden, um möglichst Klarheit in die offenbar verworrene Lage zu bringen.

 

Zur Urkunde von 1238

 

(Grotefend I 221, Dobenecker III 773, Dolle 231)

Im Jahre 1238 stellt Graf Dietrich von Honstein eine Urkunde aus, in der er bekannt gibt,

„dass wir auf Bitten … des Abts und des Konvents in Walkenried ein bestimmtes Gelände eines Fischteiches bei dem Dorf Neuendorf, Kranichsee genannt, zusammen mit der oberhalb gelegenen Wiese, die sie von unseren Bauern zu Sachsa [für] drei Mark zu einem Fischteich angekauft haben, … dem genannten Kloster übergeben haben“. (Festschrift, S. 11).

Die Stelle „von unseren Bauern zu Sachsa“ lautet nach Dolle 231: „a colonis nostris de Sassa“. Kurt Schmidt, ein verdienter Heimatforscher, kannte nur die Fassung, die Grotefend I 221 als Regest wiedergegebenen hat. Dort heißt dieselbe Passage: „a comitis colonis de Sassa“. Schmidt, der selbst Lateinlehrer am Pädagogium Bad Sachsa war, übersetzte sie mit „von den gräflichen Siedlern von Sachsa“. Er leitete daraus – und einer weiteren Urkunde aus dem 14. Jahrhundert – ab, dass die Grafen von Honstein die Bauern dort angesiedelt hatten. Dabei übersah er vermutlich, dass Grotefend nicht den Wortlaut der Urkunde wiedergibt. Er schloss, dass die Grafen von Honstein „wahrscheinlich zwischen 1135 und 1238, vermutlich zu Beginn des 13. Jh.“ Sachsa gegründet hätten. Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht haltbar. Dies ergibt sich aus der Urkunde von 1229.

 

Zur Urkunde von 1229

 

(Grotefend I 166, Dobenecker III 84, Dolle 160)

Im Jahre 1229 ist unter den Zeugen einer Urkunde des Grafen Albert von Klettenberg auch „Sifridus sacerdos de Sassa“, also der Pfarrer Siegfried aus Sachsa. Nun muss die Zeugenschaft des Sachsaer Pfarrers nicht zwingend darauf schließen lassen, dass Sachsa damals noch in der Grafschaft Klettenberg lag. Allerdings bietet der Text der Urkunde keinen Anlass, in diesem Fall daran zu zweifeln, dass Graf Albert der Landesherr des Sachsaer Pfarrers war. Ferner wird man sagen dürfen, dass es da, wo es einen Pfarrer gab, auch eine Kirche oder Kapelle gegeben haben müsste. Und wo ein Gotteshaus steht, wird auch eine Siedlung existiert haben, denn die St. Nikolai-Kirche zu Sachsa hat nie im Ruf gestanden, eine einsam gelegene Wallfahrtskapelle gewesen zu sein.

Anfangs wurde gesagt, dass weder Grotefend noch Dobenecker diese Urkunde in Verbindung mit Sachsa bringen. Gemeint ist damit, dass beide die Urkunde nur als Regest wiedergeben und dabei unter den Zeugen ausgerechnet den Pfarrer von Sachsa nicht nennen. Insofern konnte Schmidt diese Urkunde nicht berücksichtigen. Dolle merkt zwar an, dass das Wort sacerdos von gleicher Hand über der Zeile nachgetragen wurde, dennoch bleibt unklar, warum nur sein Urkundenbuch diesen Zeugen nennt.

 

Zur Urkunde von 1219

 

 (Grotefend I 104, Dobenecker II 1835, Dolle 108) 

Im Jahre 1219 bezeugt „Henrico de Saxa“ eine Urkunde, die in diesem Falle sogar von König Friedrich II. (im folgenden Jahr zum Kaiser gekrönt) in Goslar ausgestellt wurde. Weitere Zeugen sind u. a. ein Graf von Stolberg, ein Graf von Scharzfeld und ein Graf von Lauterberg, was den Rang des Heinrich von Sachsa verdeutlicht – er war vermutlich ein hochgestellter Bürger von Nordhausen.

Das „de Saxa“ stellt sicherlich kein Adelsprädikat dar, sondern ist eine Herkunftsbezeichnung, die diesen Heinrich von anderen Männern gleichen Vornamens unterscheiden helfen sollte. Diese Urkunde wird im Allgemeinen jedoch nicht als Nachweis der Existenz von Sachsa herangezogen. Dies sollte aber geschehen –auch Dolle hält Heinrich für einen aus Sachsa stammenden Bürger.  

Es gibt noch einen Beweis dafür, dass Sachsa bereits vor 1238 bestand: Das älteste erhaltene Bauwerk in Bad Sachsa ist der Turm der St. Nikolai-Kirche. Er ist auf die Jahre von 1180 bis 1200 datiert. Nach seiner Bauweise wird angenommen, dass er ursprünglich ein Wehrturm war. Sein Mauerwerk ist mit Steinen ausgeführt, die deutlich größer sind als die Steine, die zum Bau der Kirche selbst verwendet wurden. Die Kirche ist wohl erst später an den Turm angebaut worden und verband damit den Turm und eine ostwärts davon erbaute Kapelle, die heute den Altarraum der Kirche darstellt..

So kann bis hierher gefolgert werden, dass Sachsa bereits vor 1200 bestand. Wer den Ort gegründet hat, und wann dies geschah, bleibt aber offen.

  

Zur Urkunde von 860  

 

(Dobenecker I 222)

Dobenecker ist naturgemäß der Einzige, der eine Urkunde aus dem 9. Jahrhundert in Verbindung mit Sachsa bringt. Die Urkundenbücher des Klosters Walkenried konnten diese Urkunde nicht aufnehmen, weil das Kloster erst 1129 gegründet wurde.

In dieser Urkunde dokumentiert ein Graf seine Schenkungen an die Klöster in Würzburg und in Fulda. Dobenecker datiert sie zunächst auf ca. 860. Dann hat Edward Schröder, ein Germanist, nachgewiesen, dass die Datierung in das erste Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts gehört. Dobenecker ist diesen Ausführungen aber nicht gefolgt, hat allerdings im 2. Band der Regesten die Datierung auf die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts korrigiert.

Der Graf (der nach Schröder Erpfol heißt), verschenkt Besitzungen in verschiedenen Orten, u.a. „a Saxahu“, was der Dativ von „Saxaha“ ist. Bereits Dobenecker war sich nicht sicher, ob mit Saxaha das heutige Sachsa gemeint sein sollte. Schröder hält Saxaha für verschrieben aus Kazaha und vermutet in dem erwähnten Ort das heutige Unterkatz (zwischen Wasungen und Fladungen in der Rhön). Michael Gockel hingegen hält Saxaha für die richtige Schreibweise, den Ort aber für Langensalza (er datiert die Entstehung der Urkunde übrigens auf den Zeitraum zwischen 802 und 817, wobei die Entstehung im ersten Jahrzehnt wahrscheinlich ist).

Otto Löhnis, ein weiterer Heimatforscher, hat sich eingehend mit dieser Urkunde auseinandergesetzt, leider in untauglicher Weise. Obwohl er Dobenecker und Schröder kannte (mindestens zitierte), behauptete er irrtümlich, die Besitzungen zu Saxaha seien an das Kloster Fulda gegangen. Ferner war er der Auffassung, dass Saxaha eindeutig Sachsa sei, denn das Kloster Fulda habe ja in der unmittelbaren Nachbarschaft Besitz gehabt (was zutrifft). Übersehen hat er aber, dass Saxaha zu den Schenkungen an das Hochstift Würzburg zählte. Dies ist umso unverständlicher, als Löhnis die Urkunde in seinem Manuskript abbildete.

 

Kurz: Löhnis trägt Argumente vor, die nicht tragfähig sind. Er benötigte aber offenbar diese Urkunde, um seine weitergehende Behauptung zu untermauern: dass Sachsa nämlich bereits um 600 von den Sachsen gegründet worden sei.

Beweise dafür haben sich bisher nicht finden lassen. Löhnis sieht den Ortsnamen als Beleg für seine These an. Heute wird jedoch angenommen, dass der Name Sachsa nicht von dem Stamm der Sachsen, sondern von dem althochdeutschen Wort sahs (Stein) in Verbindung mit a (Bach) abgeleitet wurde (die Bedeutung entspräche dann dem Namen Steinbach). Falls dies zutreffen sollte, deutete das auf eine Namensgebung in der Zeit zwischen 750 bis 1050 hin, denn in dieser Periode wurde am Südharz althochdeutsch gesprochen.

Benutzte Literatur (nach Erscheinungsjahr)

 

Grotefend, C. L. (u. a.): Die Urkunden des Klosters Walkenried, Hannover 1852 und 1854;

Dobenecker, Otto: REGESTA DIPLOMATICA NECNON EPISTOLARIA HISTORIAE THURINGIAE. Bände I – III, Jena 1896, 1900 und 1925;

Schröder, Edward: Urkundenstudien eines Germanisten. – In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, XVIII. Band, Innsbruck, 1897, S. 1 – 52;

Keyser, Erich (Hrsg.): Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte, Band II Mitteldeutschland, Stuttgart – Berlin 1941;

Keyser, Erich (Hrsg.): Niedersächsisches Städtebuch (Deutsches Städtebuch, Bd. III, Nordwest-Deutschland I. Niedersachsen und Bremen), Stuttgart 1952;

Löhnis, Otto: Aus der Geschichte der Stadt Bad Sachsa (Manuskript), 2. überarbeitete Fassung Dortmund 1962 (Stadtarchiv Bad Sachsa XV a 20);

Gockel, Michael: Zur Verwandtschaft der Äbtissin Emhilt von Milz. – In: Festschrift für Walter Schlesinger, Band II, hrsg. von Helmut Beumann, Köln – Wien 1974, S. 1 – 70;

Schmidt †, Kurt: Von den Anfängen der Stadt Bad Sachsa: neue Forschungen zur Stadtgeschichte, Walkenried 1978;

[Festschrift] Stadtverwaltung Bad Sachsa (Hrsg.): 750 Jahre Bad Sachsa 1238 – 1988. Ein Ort erzählt Geschichte ..., Bad Sachsa 1988;

Urkundenbuch des Klosters Walkenried, Band 1: Von den Anfängen bis 1300; bearbeitet von Josef Dolle nach Vorarbeiten von Walter Baumann, Hannover 2002.